Abschnitt 2. Der Kirchenvorstand
Unterabschnitt 4. Pflichten der Kirchenvorstandsmitglieder
§ 37. Interessenwiderstreit und Befangenheit.
(1) Kein Mitglied des Kirchenvorstands darf an Beratungen und Abstimmungen teilnehmen, die es selbst oder seinen Ehegatten, seine Partnerin oder seinen Partner in eingetragener Lebenspartnerschaft, seine Eltern, Großeltern, Schwiegereltern, Geschwister, Stiefgeschwister, Kinder, Enkel, Stiefkinder oder Schwiegerkinder persönlich betreffen oder ihnen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen können (Interessenwiderstreit). Auf Verlangen ist das Mitglied vor der Beschlussfassung zu hören. Die Beachtung dieser Bestimmung ist in der Niederschrift festzuhalten.
(2) Kann ein Mitglied des Kirchenvorstands nicht frei ohne unkirchliche Bindungen zum Wohl der Kirchengemeinde entscheiden (Befangenheit), soll es an Beratungen und Beschlussfassungen nicht teilnehmen.
(3) Wenn ein Kirchenvorstand infolge Interessenwiderstreits oder Befangenheit von Mitgliedern beschlussunfähig wird, so entscheidet an seiner Stelle der Dekanatssynodalvorstand.
Kommentar zu § 37:
1. Die Regelungen zum Interessenwiderstreit und zur Befangenheit sollen die Uneigennützigkeit und Unparteilichkeit des Kirchenvorstands und zugleich dessen Ansehen in der Öffentlichkeit sichern. Die Regelung gilt nur für Abstimmungen, nicht für Wahlen. Zweck der Vorschriften ist es, schon den „bösen Schein“, d. h. den Anschein von Korruption, Filz und Vetternwirtschaft zu vermeiden. Gleichzeitig soll den Kirchenvorstandsmitgliedern eine Konfliktsituation erspart werden. Sie sollen in ihrer Tätigkeit ausschließlich in der Bindung an Gottes Wort und die Ordnungen der EKHN zum Wohl der Kirchengemeinde handeln und alle Individualinteressen hintanstellen.
2. Auch zukünftig sind Kirchenvorstandsmitglieder bei Angelegenheiten, die sie persönlich oder nahe Angehörige betreffen oder ihnen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen können, von der Mitentscheidung wegen Interessenwiderstreits ausgeschlossen.
3. Ein Interessenwiderstreit liegt dann vor, wenn ein Kirchenvorstandsmitglied aufgrund der Beziehung zum Gegenstand einer Entscheidung ein materielles oder ideelles Sonderinteresse hat, das die Besorgnis rechtfertigt, die genannte Person würde nicht mehr uneigennützig oder zum Wohl der Gemeinde handeln. Typische Beispiele für eine Interessenkollision sind: Ein Kirchenvorstandsmitglied oder seine genannten nahen Angehörigen sind Käufer, Verkäufer, Mieter oder Vermieter, Pächter oder Verpächter eines Grundstücks der Kirchengemeinde, Renovierungsmaßnahmen bei Pfarrhäusern, Einstellung, Entlassung, Höhergruppierung von Mitarbeitenden, die in einem entsprechenden Verwandtschaftsverhältnis zum Kirchenvorstandsmitglied stehen.
4. Keine Interessenkollision liegt vor, wenn es sich um Belange einer Berufsgruppe oder Gruppe der Gemeinde handelt. Sind die Belange einer Berufs- oder Gemeindegruppe betroffen, sind keine höchstpersönlichen Interessen einzelner Kirchenvorstandsmitglieder, sondern die Interessen einer ganzen Gruppe betroffen. Hier sollen ebenfalls betroffene Kirchenvorstandsmitglieder im Kirchenvorstand mitentscheiden können. Dies betrifft beispielsweise Entscheidungen, die Angebote der Kindertagesstätte betreffen oder die Förderung einzelner Gemeindegruppen, wie den Kirchenchor oder Jugendgruppen. Hier können Kirchenvorstandsmitglieder, die gleichzeitig Kindergarteneltern oder Mitglieder des Chores oder der Jugendgruppe sind, an einer Kirchenvorstandsentscheidung mitwirken.
5. Keine Interessenkollision im Sinne der Regelung liegt bei Wahlen vor, d.h. wer zur Wahl steht, darf selbstverständlich mitwählen und sich auch selbst wählen.
6. Satz 2 sieht ein Anhörungsrecht des von einer Interessenkollision betroffenen Kirchenvorstandsmitglieds vor. Von der Beratung, d. h. der mündlichen Erörterung zum Zweck der Willensbildung und Entscheidung, ist das betroffene Kirchenvorstandmitglied ausgeschlossen. Der oder die Betroffene muss den Sitzungsraum verlassen, da unter bestimmten Umständen schon die schweigende Anwesenheit die Willensbildung bei der Beratung beeinflussen kann. In Zweifelsfällen ist ein Kirchenvorstandsbeschluss über den Ausschluss herbeizuführen.
7. Der Ausschluss wegen Interessenkollision ist im Protokoll zu vermerken. Die Mitwirkung eines befangenen Kirchenvorstandsmitglieds bei der Beratung oder Beschlussfassung macht den Beschluss rechtswidrig.
8. Die Regelung zur Interessenkollision gilt nicht für die Partnerinnen und Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften, da es hier kaum möglich ist, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft gerichtsfest festzustellen. Die Interessenlage ist allerdings vergleichbar. Hier muss sich das Kirchenvorstandsmitglied selbst prüfen, ob es an Abstimmungen teilnimmt, die seine Partnerin oder seinen Partner, mit dem es in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammenlebt oder deren bzw. dessen nahe Angehörige betreffen. Eine Möglichkeit für den Kirchenvorstand, dieses Mitglied von Abstimmungen auszuschließen, besteht nicht.
9. In § 37 Absatz 2 ist eine neue Regelung zur Befangenheit eingeführt worden, wonach Mitglieder des Kirchenvorstands, die nicht frei ohne unkirchliche Bindungen zum Wohl der Kirchengemeinde entscheiden können, sich nicht an Beratungen und Beschlussfassungen beteiligen sollen. Ein typischer Fall ist, dass Kirchenvorstandsmitglieder gleichzeitig Kommunalvertreter oder Vereinsmitglieder sind und daher bei Entscheidungen, die die Kommune oder den Verein beispielsweise als Vertragspartner betreffen, auf zwei Schultern tragen und daher nicht ausschließlich im Interesse der Kirchengemeinde entscheiden können. Eine Befangenheit kann also auch vorliegen, wenn das Kirchenvorstandsmitglied gerade nicht persönlich betroffen ist. Diese Regelung greift daher über die Regelung zur Interessenkollision hinaus, hat allerdings nur Appellcharakter für das betreffende Kirchenvorstandsmitglied und berechtigt in der derzeitigen Formulierung den Kirchenvorstand nicht, das entsprechende Mitglied von der Abstimmung auszuschließen.