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Abschnitt 1. Die Kirchengemeinde

Unterabschnitt 1. Die Ausgestaltung der Kirchengemeinde

§ 1. Begriff und Rechtsstellung.

(1) Eine Kirchengemeinde ist eine dauerhafte Zusammenfassung von Kirchenmitgliedern entsprechend der kirchlichen Ordnung, in der Gottes Wort lauter verkündigt und die Sakramente recht verwaltet werden.

(2) Eine Kirchengemeinde kann errichtet werden, wenn ein regelmäßiger Gottesdienst unter Leitung von zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung beauftragten Personen gewährleistet ist. Die Zahl der Mitglieder der Kirchengemeinde (Gemeindemitglieder) muss auf Dauer eigenständige Lebens- und Arbeitsformen, insbesondere die Beteiligung der Gemeindemitglieder, geordnete Strukturen der Leitung und der rechtlichen Vertretung im Rahmen der gesamtkirchlichen Vorschriften, ermöglichen.

(3) Jede Kirchengemeinde ist Teil eines Dekanats und der Gesamtkirche und beteiligt sich nach ihren Kräften an deren geistlichen, rechtlichen und finanziellen Aufgaben.

(4) Jede Kirchengemeinde ist Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten im Rahmen der kirchlichen Ordnung in eigener Verantwortung. Sie steht unter Schutz, Fürsorge und Aufsicht des Dekanats und der Gesamtkirche.

Kommentar zu § 1:

1. Der rechtliche Begriff der Kirchengemeinde ist vom theologischen Begriff der Gemeinde zu unterscheiden, aber auch auf diesen zu beziehen. Die geographisch abgegrenzte Kirchengemeinde (Parochie oder Ortsgemeinde) ist nach evangelischem Verständnis eine historisch entstandene und bewährte Organisationsform der Gemeinde. In ihr nimmt die Kirche Jesu Christi vor Ort geistliche, rechtliche und soziologische Gestalt an. Seit dem Mittelalter hat sie sich im westlichen Europa als flächendeckende Organisationsform durchgesetzt. Auch die reformatorischen Kirchen in Deutschland haben diese regionale Verankerung beibehalten. Unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen, da sich örtliche Bindungen immer mehr auflösen und (über-) regionale Lebensräume bedeutsamer werden, treten neben die Ortskirchengemeinden Personalkirchengemeinden oder Anstaltskirchengemeinden.

2. Die Kirchengemeinde soll kirchliches Leben umfassend verwirklichen. Sie steht aber auch in der Gemeinschaft der Christenheit und ist daher auf die Gemeinschaft des Dekanats und der Evangelische Kirchen in Hessen und Nassau (EKHN) bezogen. Dies zeigt sich beispielsweise im System der stufenweisen Wahl von Synodalen in die Dekanatssynoden, die wiederum Synodale in die Kirchensynode wählen. Ein gesamtkirchliches Instrument zur Verwirklichung dieser Gemeinschaft ist außerdem die Visitation (siehe Visitationsgesetz).

3. Die Kirchengemeinde hat einen grundlegenden Auftrag: Sie soll sich selbst am Evangelium orientieren und das Evangelium anderen Menschen vermitteln, so dass die Frohe Botschaft bei möglichst vielen ankommt. Dazu dienen ihre Gottesdienste ebenso wie das Handeln in Form von Seelsorge, Bildung und Diakonie aber auch Leitung und Verwaltung, die Zusammenarbeit mit übergemeindlichen Einrichtungen und der Umgang mit den materiellen Werten (vgl. Artikel 10 KO). Weil es zur Frohen Botschaft gehört, die Welt als Schöpfung Gottes zu sehen, auf Gottes Erbarmen zu vertrauen und auf Gottes neu schaffende Kraft zu hoffen, gehört es zum Auftrag der Kirchengemeinde, sich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung sowie für die Überwindung aller Spaltungen der Christenheit einzusetzen. In diesem Sinne gehört die missionarische und ökumenische Ausrichtung zum Wesen der Kirchengemeinde. So bildet jede Kirchengemeinde die fünf kirchlichen Handlungsfelder der EKHN ab, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit benachbarten Kirchengemeinden:

- Verkündigung, geistliches Leben, Kirchenmusik,
- Seelsorge und Beratung,
- Bildung und Erziehung,
- gesellschaftliche Verantwortung und diakonisches Handeln,
- Ökumene.

4. Die Organisations- und Rechtsgestalt der Kirchengemeinde ist theologisch nicht zwingend vorgegeben. Jede Rechts- und Organisationsform muss allerdings so ausgerichtet sein, dass sie Schrift und Bekenntnis nicht widerspricht. Historisch wurde die rechtliche Ausgestaltung der Kirchengemeinde schon immer durch die sie umgebenden säkularen gesellschaftlichen Verhältnisse beeinflusst. Im modernen demokratischen deutschen Verfassungssystem ist die Evangelische Kirche in Deutschland, ihre Gliedkirchen und damit jede Kirchengemeinde demokratisch verfasst. Jede Kirchengemeinde besteht aus ihren Gemeindemitgliedern, die in Kirchenvorstandswahlen Mitglieder des Kirchenvorstands in gleicher, freier, allgemeiner, geheimer und unmittelbarer Wahl bestimmen (§ 2 Absatz 1 KGWO). Der Kirchenvorstand entscheidet in Abstimmungen und Wahlen. Alle (volljährigen) Kirchenvorstandsmitglieder sind gleichberechtigt. Für minderjährige Jugenddelegierte bestehen Sonderregelungen (§ 29a KGO).

5. Die Kirchengemeinde ist nach Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 Weimarer Reichsverfassung und Artikel 2 Absatz 4 KO in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert. Dieser nach dem Grundgesetz den Kirchen verliehene Körperschaftsstatus soll eine effektive Form der Religionsausübung bieten und dient damit der Verwirklichung der Religionsfreiheit. Das Grundgesetz zeigt damit, dass es die Religionsausübung für eine öffentliche Aufgabe hält. Der Körperschaftsstatus macht die Kirchen allerdings nicht zu einem Teil des Staates.

6. Der Körperschaftsstatus schafft eine mitgliedschaftlich organisierte, vom Wechsel der Mitglieder unabhängige juristische Person. Eine solche juristische Person ist umfassend rechtsfähig. Sie kann damit Trägerin von Rechten und Pflichten sein. Die Kirchengemeinde kann beispielsweise Eigentümerin von Grundstücken sein, sie kann Verträge abschließen und Mitarbeitende anstellen, sie kann vor Gericht klagen oder verklagt werden.

7. Kirchenrechtlich bilden die Kirchengemeinden die gemeindliche Ebene im Aufbau der EKHN und sind integraler Bestandteil der Kirche. Eine der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Artikel 28 Absatz 2 GG) vergleichbare Selbstständigkeit der Kirchengemeinde besteht im kirchlichen Recht nicht (Artikel 11 KO).

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